6 Tage von Hütte zu Hütte im Maderanertal

Wenn man sich mit einer Schweizerin zum Wandern verabredet, dann ist klar, dass es in die Schweiz geht.
Sie entführte mich für 6 Tage in die unberührte Bergwelt der Urner Alpen.

Wenn man sich mit einer Schweizerin zum Wandern verabredet, dann ist klar, dass es in die Schweiz geht. Denn schließlich will sie “richtig ih´d Bärrg”. Nach einer kurzen Planungsphase entscheiden wir uns für eine Etappenwanderung zwischen Windgällen und Oberalpstock im Maderenertal in den Urner Alpen, Kanton Uri.


Rund um das Maderanertal

Das Maderanertal liegt in der Innerschweiz, im Kanton Uri am nördlichen Fuß des Gotthardmassivs. Zugegeben, bevor wir uns mit der Tourenplanung befassten, war mir die Existenz dieses Tals gänzlich unbekannt. Doch das Maderanertal ist ein Stück “Bilderbuchschweiz” abseits der großen Verkehrsstöme über den Gotthardpass. Wegen seiner Ursprünglichkeit wurde das Maderanertal sogar zu einem Kandidaten für einen möglichen zweiten Nationalpark (neben Engadin, Kanton Graubünden) in der Schweiz gewählt.

Fakten zur Tour

  • Ausgangs- und Endpunkt: Bristen, 832 m Talstation der Seilbahn nach Golzeren. Großer Parkplatz, Bushaltestelle des Postbusses von Amsteg. Nach Amsteg Busverbindung von den Bahnhöfen Erstfeld und Göschenen
  • Anforderungen: Die Tour gilt als schwierig, T5 = Anspruchsvolles Alpinwandern. Das Gelände ist oft weglos, teilweise gibt es seilversicherte Passagen und leichte Kletterei. Bergerfahrung und Trittsicherheit sind erforderlich. Für Kinder ist diese Mehrtageswanderung nicht geeignet. Die 4. Etappe führt über einen Gletscher. Mit einer zusätzlichen Übernachtung in Disentis kann diese Etappe auch umgangen werden.
  • Dauer: 5- 6 Tage, je nachdem für welche Variante man sich an Tag 4 entscheidet

1. Etappe: Bristen 832 m – Windgällenhütte 2.032 m

  • Aufstieg: ca. 1.210 hm I Dauer: ca. 5 Stunden

Gleich zu Beginn unseres ersten Tages stellt sich für uns die Frage, ob wir unsere Mehrtagestour bequem oder sportlich starten möchten. An der Talstation der Seilbahn nach Golzeren, könnten wir nämlich gemütlich zu Berge schweben und uns somit 600 Höhenmeter sparen. Auch wenn es verlockend klingt, entscheiden wir uns dagegen. Wir haben schließlich gut gefrühstückt und außerdem -finden wir- ist so ein Anstieg auch immer das ganz bewusste Eintreten in die Bergwelt, in der wir nun für eine Woche lang zu Gast sein werden.
Schritt für Schritt aufsteigen, den Rucksack auf den Schultern spüren, hier und da nochmals was justieren, Jacke aus, Jacken an, die Schuhe fester schnüren und den eigenen Atem spüren… genau deshalb sind wir hier.

Anfangs verläuft der Weg noch im Wald und an zahlreichen Heidelbeerbüschen vorbei. Hier bleibt ein kleiner Zwischenstop natürlich nicht aus. Schon bald gelangen wir über offenes Almgelände an der Bergstation vorbei zum Golzerensee. Zu einladend ist das Ufer, wir können nicht anders und müssen unsere Füße einfach kurz erfrischen.

Auch hier haben wir nochmals die Wahl zwischen zwei Aufstiegsvarianten. Wir entscheiden uns auch hier für die etwas längere, steilere und anspruchsvollere Wegführung über Oberchäseren zur Windgällenhütte und erreichen unser Etappenziel nach weiteren ca. 550 hm.


2. Etappe: Windgällenhütte 2.032 m – Hinterbalmhütte 1.820 m

  • Aufstieg: ca. 1.040 hm I Dauer: ca. 5:30 Stunden

It´s a rainy day! Als wir heute morgen aus dem Fenster blicken, sehen wir kaum 50 m weit. Der Regen prasselt auf das Hüttendach und, nun ja, als wir uns so den zweiten Kaffee einschenken, könnten wir uns auch vorstellen, noch ein Weilchen in der Hütte zu bleiben,… doch hilft ja nichts. Die Hinterbalmhütte ruft, also brechen wir auf!

Die ursprüngliche Tour sieht für den heutigen Tag die Etappe von der Windgällenhütte (2.032 m) zur Hüfihütte (2.334 m) vor. Allerdings wird die Hüfihütte zu dem Zeitpunkt als wir die Tour unternehmen (2018) renoviert und ist deshalb geschlossen. Unser Plan B führt uns heute also von der Windgällenhütte (2.032 m) zunächst rund 700 hm bergab nach Sass (1.465 m).

  • Das Maderenertal ist für seinen Mineralienreichtum berühmt. Gleich zu Beginn unseres zweiten Wandertages säumen zahlreiche Schächtelchen mit gesammelten Bergkristallen den Weg. Von erbsengroß bis hin zu Kristallen, die ca. 10-15cm lang/breit sind, ist hier alles dabei. Auf Vertrauensbasis kann man sich hier seinen Lieblingskristall aussuchen und per Spende in die dafür bereit gestellte Kasse erwerben.

Hier in Sass (1.465 m) haben wir den geografischen Tiefpunkt unserer Tagesetappe erreicht, überqueren hier den Chärstelenbach und wer hätte das gedacht? Nach dem Abstieg kommt der Aufstieg! Und der hat es in sich, führt uns aber auch durch eine wahrliche Bilderbuchlandschaft und gibt in wolkenlosen Momenten Ausblicke auf das Hintere Maderenertal frei.

Wir steigen zunächst bis zur Abzweigung zum sogenannten “Schafweg” auf 1.869 m an. Der Schafweg ist ein alpiner Wanderweg und gilt als die kürzeste Verbindung zwischen Hüfihütte und Hinterbalmhütte. Schwindelfreiheit und Trittsicherheit sind hier auf jeden Fall erforderlich. Der Steig ist steil und führt durch eine mit Rinnen durchzogene Felswand. Teilweise ist der Weg mit Ketten versichtert, was die Begehung erleichtert. In unserem Fall kommt erschwerend hinzu, dass es vormittags regnete und die teilweise eh schon feuchten Passagen sehr rutschig sind. Hier ist also Konzentration angesagt!
Vom Murenplanggen aus führt uns der Normalweg nun leicht absteigend bis zur Hinterbalmhütte (1.820 m).Hier erwartet uns ein Schweizer Hüttenidyll genau nach unserem Gusto mit Outdoor Waschplatz und Toilette.


3. Etappe: Hinterbalmhütte 1.820 m – Camona da Cavardiras 2.649 m

  • Aufstieg: ca. 920 hm I Dauer: ca. 5:00 Stunden

Nach einer hervorragenden Nacht im Lager der Hinterbalmhütte lassen wir es heute etwas gemütlicher angehen. Der gestrige Regen hat sich komplett verzogen und es verspricht heute ein sommerlich-sonniger Bergtag zu werden.
Wir steigen zunächst das Brunnital hinauf. Der Weg ist rot-weiß markiert und folgt stetig bergan dem Brunnibach, den wir kurze Zeit später überqueren. Der Blick wird weiter und vor uns eröffnet sich der wunderschöne Brunniboden. Wir können uns kaum sattsehen: Saftige Wiesen beherbergen eine einzigartige Blumen- und Pfanzenwelt. Das satte Grün ist durchzogen von mäandernden Bächen. Vor uns bauen sich die Flanken des Brunnifirns auf. Können wir hier bitte mal auf “PAUSE” drücken?

Vor lauter Schauen, Staunen und Aufsaugen merken wir kaum, dass wir den Weg aus dem Talboden langsam verlassen und uns schon inmitten des steinig-schuttrigen Anstiegs zum Fusse des Gwasmet (2.874 m), dem Hausberg der Cavadiras Hütte befinden. Die insgesamt 600 Höhenmeter treiben uns die Schweißperlen auf die Stirn. Schritt für Schritt schrauben wir uns die Serpentinen bergauf. Links von uns vereinzelte Schafe, die uns neugierig begutachten.

Die letzten Meter führen über Geröll und sind teilweise auch wieder mit Ketten versichert. Wir folgen der Markierung, die uns erneut steil ansteigend bis zum Ende des Brunnifinrs führt. Der Weg knickt nun nach links ab und führt uns über die Fuorcla da Cavardiras zur Camona da Cavardiras (2.652 m).


4. Etappe: Camona da Cavardiras 2.649 m – Disentis 1.100 m

  • Aufstieg: ca. 250 hm I Abstieg: ca. 1.00 hm I Dauer: ca. 7:00 Stunden

Die heutige Etappe führt regulär von der Camona de Cavadiras (2.649 m) direkt zur Etzlihütte (2.052 m) und somit über den Gletscher. Der Weg über die Fuorcla de Strem Sut (2.832 m) erfordert Gletschererfahrung und entsprechende Ausrüstung. Das ist uns eine Nummer zu heiß. Wir sind zwar beide schon über Gletscher gegangen, dies aber in einer Gruppe erfahrener Bergsteiger. Den Brunnifirn hier nun eigenverantwortlich zu überqueren, trauen wir uns nicht zu. Deshalb planen wir einen Extra-Tag mit Abstecher nach Dissentis ein.

Unsere Variante führt uns also von der Cavadiras-Hütte via den Brunnipass (2.740 m). Hierzu steigen wir zunächst etwas zum Firnrand ab. Der Weg ist gut erkennbar, Fähnchen helfen bei der Orientierung. Schließlich klettern wir über Felsblöcke, ziehen uns an Leitern und Ketten hoch bis zum Brunnipass auf 2.730 m. Die Aussicht auf den Brunnifirn von hier oben ist grandios. Wir schnaufen durch und genießen das Panorama.

Nun beginnt der Absteig über den Lag Serein. So richtig Lust haben wir darauf nicht. Immerhin 1.000 Höhenmeter geht es nun am Stück bergab. Nach dem Motto “Augen zu und durch” marschieren wir los. Jeder in seinem Tempo, Schritt für Schritt. An der Caischavedra Bergstation auf 1.862 m machen wir eine Verschnaufpause und werfen sinnbildlich eine Münze, die uns die Entscheidung “Fahren oder Latschen” abnehmen soll. Tut sie aber nicht. Da wir gerade so gut drin sind, entscheiden wir uns, die restlichen 700 Höhenmeter nach Dissentis auch noch zu laufen.
Irgendwann kommen wir an. Schön finden wir es hier nicht. Gefühlt “steht die Luft” hier unten im Tal (wir sind noch immer auf 1.130m!), Autos fahren, es gibt Geschäfte und für unser Empfinden herrscht hier wuseliges Treiben. Das einzig Gute an diesem Abstecher ins Tal ist ganz offensichtlich die Dusche, die wir nach vier Tagen sehr gerne in Anspruch nehmen. Dennoch freuen wir uns, dass unsere Wanderung noch nicht zu Ende ist, und wir wieder aufsteigen dürfen.

Leider gibt´s von dem zweiten Tagesabschnitt keine Bilder. Das liegt entweder daran, dass wir so sehr mit dem Laufen beschäftigt waren oder an der Tatsache, dass es uns im Tal nicht so gut gefiel. Es darf spekuliert werden…


5. Etappe: Disentis 1.100 m – Sedrun/Rueras – Etzlihütte 2.052 m

  • Aufstieg: ca. 970 hm I Abstieg: ca. 360 hm I Dauer: ca. 6:00 Stunden

So schnell woe gestern erhofft, sollten uns die Berge allerdings noch nicht wieder sehen.
Denn das Val Strem von Disentis bis Bauns ist aufgrund eines Bergsturzes 2016 nicht begehbar und wegen erneuter, akuter Bergabsturzgefahr langfristig gesperrt. Eine Variante führt über den Gletscher. Doch da wollen wir nicht hin. Genau deswegen sind wir ja in Disentis…

  • Infolge eines Felssturzes am 14. März 2016 im unteren Val Strem ist der Wanderweg zwischen Sedrun und Bauns nicht begehbar. Die Sperrung gilt bis auf weiteres, da immer noch tausende Kubikmeter Fels absturzgefährdet sind. Es muss daher ein Umweg über die Alp Caschlè in Kauf genommen werden. Neue Wegführung gemäss Variante: Sedrun–Clavaniev–Uaul Flurin–Alp Caschlè–Bauns–Chrüzlipass–Etzlihütte ( Mehraufwand ca. 1 Std. ). Quelle: Schweizer Alpen Club

Um zur Etzlihütte zu kommen, müssen wir diese Passage also umgehen. Wir fahren dafür mit dem Zug nach Sedrun/Rueras (1.450 m) und steigen über die Alp Caschlé (2.249 m) und den Chrüzlipass (2.347 m) zur Etzlihütte auf.

Unser letzter “richtiger” Wandertag sollte es nochmals in sich haben. Insgesamt kommen knapp 1.000 Höhenmeter im Aufstieg und ca. 400 Höhenmeter im Abstieg zusammen. Diese verdienen aber nochmals die Auszeichnung “Tag der Superlative”. Denn traumhafte Landschaft, griffiger Granit und glasklare Bergseen machen diesen Hüttenzustieg zu einer sehr interessanten und abwechslungsreichen Tagestour.

Vom erhabenen Chrützlipass (2.347 m) eröffnet sich abermals ein sagenhaftes Panorama. Wenig unterhalb machen wir Pause um uns für den Abstieg zur Etzlihütte zu stärken. Das ist nicht mehr weit und sollte innerhalb einer guten Stunde zu machen sein. Wären da nicht die Seen. An einem heißen Tag wie heute, geht es einfach nicht anders. Ich muss da rein! Mich erfrischen, abkühlen und dieses kühle Nass mit jeder Pore spüren – herrlich!

Während die berühmt-berüchtigte Etzlitorte lauthals nach Judith zu rufen scheint, so dass diese gefühlt die Beine in die Hände nimmt, lasse ich mir Zeit und verweile noch etwas an einem dieser wunderbaren Seen, und gehe immer wieder und wieder rein…

Übrigens: Die Etzlihütte hat noch ein weiteres Highlight zu bieten: Einen Badebottich mit geheiztem Wasser – perfekt, um die strapazierten Muskeln zu entspannen. Allerdings muss man sich auch dieses Vergnügen verdienen: Denn vor dem Badespass muss man sich mit eiskaltem Brunnenwasser duschen. Aber auch das meistern wir und genießen ein entspannendes Bad mit (man darf´s ja wohl kaum sagen, so kitschig ist es!) einem Glas Aperol Spritz…
Anmerkung in eigener Sache: Aus Diskretionsgründen verzichten wir hier auf Bilder.

Auf Buh-Rufe bitten wir an dieser Stelle freundlichst zu verzichten. Das musste irgendwie sein. Kennt ihr nicht auch dieses Glücksgefühl voller wohliger Erschöpfung, das durch nichts wie ein gutes Abendessen, ein frisches Bier und… in unserem Fall einem Aperol Spritz zu toppen ist?


6. Etappe: Etzlihütte 2.052 m – Bristen 832 m

  • Abstieg: ca. 1.200 hm I Dauer: 4-5 Stunden

The final countdown: Nach einem hervorragenden Frühstück heißt es Abschied nehmen von der Bergwelt. Über den Etzliwanderweg steigen wir vorbei an quirligen Bächen und grünen Matten gemütlich ins Etzlital hinab.

Ab dem hinteren Etzliboden besteht theoretisch die Möglichkeit, in Alpentaxi zu steigen und,.. ihr wißt schon: Sich den Rest der Strecke chauffieren zu lassen. Ihr ahnt vermutlich schon, dass wir das nicht tun. Denn genauso schrittweise wie wir in die Berge aufsteigen (siehe Etappe 1), so bewusst steigen wir wieder ab und nähern uns somit behutsam der Zivilisation, dem Alltag und allem, was dazugehört.


Fazit

Wir verbrachten sechs wundervolle Wandertage inmitten einer sehr ursprünglichen Bergwelt. Das Maderanertal ist ein stilles Seitental des Reusstals und bot uns alles, was wir uns unter einer perfekten Mehrtagestour vorstellten: Die ideale Mischung aus konditionellem und technischen Anspruch, eine sehr abwechslungsreiche Wegführung, glasklare Bergseen und Bächlein für die Erfrischung unterwegs, authentische Hütten,… Und: Wer Mineralien liebt, der wird hier gewiß fündig. Das Maderanertal ist für seine Bergkristalle berühmt…
Unsere Etappen waren für unseren Anspruch passend gewählt, im Schnitt hatten wir pro Tag sechs Stunden reine Gehzeit ohne Pausen. Wir empfehlen natürlich, die Etappen an die individuellen Faktoren wie Konstitution, Erfahrung und nicht zuletzt ans Wetter anzupassen!

Praktische Tipps

Unterkünfte
Windgällenhütte, 2.032 m, AACZ-Hütte, bew. Anf. Juni bis Ende Oktober
Hinterbalmhütte, 1.877 m, privat, bew. Anf. Juni bis Ende Oktober
Camona da Cavadiras, 2.649 m, SAC-Hütte, bew. Anf. Juli bis Anf. September
Etzlihütte, 2.052 m, SAC-Hütte, bew. Anf. Juli bis Ende Oktober

Literatur
Als Inspirationsquelle für unsere Tour diente das Buch: Hüttentrekking Schweiz, Band 2 von Ralf Gantzhorn und Stefan Hagenbuch I Rother Selection – Tour 14 Rund um das Maderanertal

Wanderkarten
SLK Blatt 246 Schächental und 256 Disentis/Mustér